
Die
Legende lebt
Ex-Schallplattenunterhalter beherbergt kleines Museum der DDR-Rock- und
Popkultur
Von Markus FalknerFriedrichshain
- Es war einmal ein Land, da hießen angesagte Bands nicht Rolling
Stones oder Pink Floyd, sondern Renft oder City. Die Discjockeys in diesem
Land hießen Schallplattenunterhalter. Sie hegten und pflegten das
heimische Liedgut. Nur selten rotierte Vinyl aus fernen Ländern auf
ihren Plattentellern.Das
Land ist untergegangen. Die Schallplattenunterhalter machen heute meist
anderes. Einer von ihnen ist Peter Thinius. In seiner Altbauwohnung an
der Marchlewskistraße stehen in den Regalen die Relikte der Pop-
und Rockkultur des längst untergegangenen Landes: Amiga-Scheiben,
Fachliteratur, Kofferradios, Plattenspieler, zusammengerollte Konzert-Plakate.
Alles in allem ein kleines Museum der DDR-Musikgeschichte im Rohzustand.Der
Eindruck täuscht nicht. Zusammen mit Gleichgesinnten hat Thinius
im vergangenen Jahr den Verein Sechzig-Vierzig gegründet, dessen
Name auf die in der DDR übliche Quotenregelung für die «öffentliche
Aufführung von Tanz- und Unterhaltungsmusik» Bezug nimmt. 60
Prozent der Stücke mussten aus der DDR oder den sozialistischen Bruderstaaten
stammen, 40 Prozent konnte sich der Rest der Welt teilen. Die Mitglieder
haben sich laut Satzung der «Bewahrung von Werken populärer
Kultur aus der DDR und den neuen Bundesländern und deren Archivierung»
verschrieben. Ein virtuelles Archiv gibt es schon im Internet, Ausstellungen
sind geplant, ein eigenes Museum ist das große Ziel.«Mit
dem oberflächlichen Zelebrieren von Ostalgie hat das nichts zu tun»,
sagt Peter Thinius. Es gehe darum, ein Stück Musikgeschichte zu dokumentieren
mit allen positiven und negativen Seiten. Dazu zählen musikalische
Glanzstücke heute fast vergessener Bands, Bühnenkleidung, Karikaturen,
Abspielgeräte und Cover ebenso wie die künstlerische Zensur.
Sie soll in der Ausstellung eine eigene Abteilung bekommen. «Es
ist ganz wichtig auch die verschiedenen Formen restriktiver Eingriffe
und ihre Auswirkungen darzustellen», sagt Vorstandsmitglied und
Ex-Musikjournalist Ralf Kegel. So habe sich angesichts des alltäglichen
Drucks in der DDR-Popmusik eine «ganz eigene Sprache» entwickelt.
Die Sängerin Tamara Danz habe ihm von einem gängigen Trick erzählt.
Absichtlich in die Texte eingebaute «Reizworte» sollten die
staatlichen Kontrolleure foppen. Sie strichen das böse Wort, übersahen
aber oft, dass der eigentliche Sinn subtil formuliert direkt daneben stand.Nur
eine der vielen systembedingten Sonderbarkeiten und Anekdoten, die es
den Vereinsmitgliedern besonders angetan haben. Peter Thinius spricht
gern über seine Lieblingsstücke der Sammlung. Seine Augen hinter
den Brillengläsern beginnen zu strahlen, wenn er etwa von einer legendären
Platte der ungarischen Band Omega erzählt, die in der DDR in Alufolie
eingehüllt erschien, weil die volkseigene Pappfabrik die Cover nicht
termingerecht liefern konnte. Oder von der die «tönenden Amiga-Vorschau»,
einer Single-Rarität mit Kurztrailern demnächst erscheinender
LPs.«Es
gibt so viele Exponate, die man einfach ausstellen muss», sagt Ralf
Kegel. Er betont, dass der Verein den Blick nicht nur nach hinten richtet.
Auch nach der Wende in den ostdeutschen Bundesländern entstandene
Bands wie Knorkator oder Rammstein sollen ihren Platz in der Ausstellung
finden. Das Interesse scheint zumindest da zu sein, wie Peter Thinius
bestätigt. Knorkator-Sänger Stumpen habe bereits zugesagt «ein
verspätetes Oster-Päckel mit historischen Devotionalien»
zu schicken. Eine Reaktion, die die Vereinsmitglieder freut. Trotzdem
hoffen sie auch auf die Hilfe weniger prominenter Musiker und Musik-Fans.
«Bestimmt verstauben in Kellern und auf Dachböden noch viele
Stücke, die wir gut gebrauchen könnten», sagt Peter Thinius
und grinst vor Vorfreude auf neue Kuriositäten.Kontakt:
Tel.: 296 13 29.www.sechzig-vierzig.deBerliner
Morgenpost, vom: 21.05.2002
URL: http://morgenpost.berlin1.de/archiv2002/020521/lokalanzeiger_city/story520817.html |